Bd.98 by Marion Zimmer Bradley

Bd.98 by Marion Zimmer Bradley

Autor:Marion Zimmer Bradley
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


2

Als Dr. Maynard am nächsten Tag vorbeikam, um sich nach meinem Knöchel zu erkundigen, erkannte ich noch nicht, was mir bevorstand. Ich begrüßte ihn mit gehöriger Erleichterung. Mein Knöchel war geschwollen und schmerzte, und mein Gesicht brannte vor Sonnenbrand selbst unter der kühlenden Lotion, die mir die Tante mit einer Miene, als ob sie Kohlen auf ein Feuer legte, über Gesicht und Arme verteilt hatte. Hochwürden Oscar hatte mir einen kurzen formellen Besuch abgestattet, wobei es ihm genauso peinlich war, mich im Bett zu sehen, wie mir, obwohl ich bis zum Hals in Wogen von Schals und Bettjäckchen gehüllt war. Doch Philip Maynard war alt genug, um mein Vater zu sein; er war keiner von Tante Mabels möglichen Heiratskandidaten, und deshalb konnte ich mein steifes Junge-Dame-Gehabe ablegen und ihn mit der ganzen Freude begrüßen, die ich bei seinem Besuch empfand.

Er hatte mir ein paar Gedichtbände mitgebracht. »Kein Geschenk, sondern eine Leihgabe«, erinnerte er mich. »Die Tochter von Professor Ellis hat hieran be stimmt mehr Spaß als an den üblichen sentimentalen Romanen!«

Tante Mabel hatte ihn mißtrauisch von der Seite beäugt, aber Dr. Maynard hatte ihre Skepsis weggewischt: »Ach, meine liebe Frau, ich bin doch selbst Vater. Glauben Sie mir, alles, was ich ihr zu lesen gebe, wird ebenso geeignet sein, wie ich es für meine eigene Tochter ausgewählt hätte.«

Das Buch war Scotts >Das Fräulein vom See<, das ich noch nicht gelesen hatte; ich verspürte eine angenehme Erregung und den schwachen, undankbaren Wunsch, Dr. Maynard möchte gehen und mich allein lassen, damit ich anfangen könnte zu lesen. Ich hatte sehr viel für Gedichte übrig, und ich freute mich, als ich sah, wie meine Tante strahlte. »Höchst passend«, sagte sie und reichte mir das Buch zurück, »und Sie sind überaus freundlich zu meinem unartigen kleinen Mädchen, Dr. Maynard.«

Er verbeugte sich vor ihr. Ich kam mir vor wie ein Kind, das von den Erwachsenen vergessen worden war (und froh darüber, vergessen worden zu sein), schlug die Seiten auf und bewunderte zunächst die wundervollen Stiche.

Er lächelte wohlwollend zu mir herunter. »Das war das Lieblingsbuch meiner Tochter«, sagte er. »Ich hoffe, es wird Ihnen gefallen.« Dann ging er.

Ich schlug den Innentitel auf. Dort standen in einer schönen Kupferstich-Schreibschrift die Worte:

Judith Eleanor Maynard von ihrem Papa.

Das mußte wohl die Tochter gewesen sein, deren Haare und Augen den meinen so sehr glichen. Ich fragte mich, wie sie gewesen sein mochte. Dr. Maynard war ein gütiger und liebevoller Vater, genau wie meiner. Als ich an meinen Vater dachte, traten mir Tränen in die Augen.

Seine Augen waren während der letzten drei Jahre immer schlechter geworden, und er wollte nicht bei Lampenlicht lesen; deshalb machte es ihm abends, wenn wir vor dem Kamin saßen, besondere Freude, wenn ich ihm vorlas. Ich überlegte, ob Judith Maynard wohl ihrem Vater vorgelesen hatte. Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen, und das Hotelmobiliar wurde blasser und wich einer Vision meines Zuhauses ...

»Dummes Ding«, sagte meine Tante tadelnd. »Du wirst dir die Augen verderben, wenn du weinst. Dr. Maynard hat sich äußerst freundlich verhalten, das muß



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